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Versöhnung der Religionen

Der Islam möge verstarrt sein, der Westen ist jedoch in eine Ego-Kultur entartet.
Beide sollten sich besinnen auf ihre Mängel um so als ebenbürtige
Partner den gemeinsamen Nenner auszuarbeiten

1. Wie sehr auch Dialog angestrebt wird, es läuft immer hinaus auf die Feststellung, daß der Islam (mehr oder weniger) im Mittelalter steckengeblieben ist. Dies im Gegensatz zum Westen, der "wie bekannt" auf die Aufklärung stützt, wodurch er automatisch den Status der Anständigkeit in Anspruch nehmen kann. Daß es dem Islam mangelt an Humanität wird "bewiesen" durch die Position der Frau, das überholte Rechtssystem (Scharia), die politische Theologie, wobei Staat und Religion untrennbar sind und den Terrorismus. Der Westen dagegen sei eine erwachsene, humane Zivilisation, die Krone auf die Menschlichkeit schlicht. Er wird gekennzeichnet durch Freiheit, Gerechtigkeit, Toleranz und Demokratie. Wie wohlwollend man auch ist bei dem interreligiösen Dialog, der unterliegende Haltung des Westens ist immer die der Überlegenheit. Letztendlich hat der Islam sich dem Westen - der sich als "Leitkultur" etabliert - anzupassen. Die Idee, daß der Westen auch etwas vom Islam lernen könnte, reizt die Lachmuskeln. Die Mosleme verhandeln also ständig bzw implizit aus einer Position der Inferiorität.

2.  Der Westen nimmt allzuleicht an, daß er die universelle Entwicklung verkörpert. Die Frage ist ob das so ist. Dazu müssen wir erst die existentielle Grundlage des Menschen definiieren. Gibt es überhaupt eine solche? Weil ich nicht für andere Kulturen sprechen kann, nehme ich unsere eigene Tradition als Ausgangspunkt. Dabei darf man annehmen, daß die große Humanisten - die doch unsere Kultur geprägt haben - die richtige Formulierungen gebraucht haben. Überraschenderweise stellt es sich heraus, daß sie ein hohes Maß an Übereinstimmung zeigen. Seit der Antike sind zu nennen u.a. Aristoteles, Sokrates, Plato, Plotinos, Ruusbroec, Eckhart, Erasmus, Spinoza, Goethe, Lessing, Herder, Nietzsche, Hölderin, Rilke u.v.a. Statt außschließlich die persönliche Autonomie zu verkünden, definiieren die meisten die existentielle Situation zwar mit Nachdruck auf die Vernunft, jedoch (fast) immer in dem Kontext des verwurzelt sein in "Himmel, Erde un der Gemeinschaft". Daß heißt, daß die menschliche Freiheit nur einen Sinn hat in Verbundenheit mit seiner Umgebung im weitesten Sinne.

3. Also stimmt etwas nicht. Denn heutzutage wird von denjenigen die sich Humanisten nennen, ausschließlich die persönliche Freiheit als das Wesentliche unserer Kultur hervorgehoben. Damit meinen sie eine total unabhängige Instanz, die tun kann was sie will, "solange sie nicht die Freiheit anderer antastet". Von irgendeinem existentiellen Kontext kein Wort. Das höchste was ein Mensch erreichen kann, ist seine Individualität, d.h. ein aus sich und für sich lebende Entität. Irgendwo muß also ein Bruch in der Tradition stattgefunden haben. O, Ironie. Genau in der Aufklärung, immer wieder als Quelle des heutigen "Humanismus" gefeiert, liegt die Ursache. Zuvor waren die Humanisten noch am Ganzen orientiert. Mit Descartes - "ich denke, also bin ich" - wurde das ausschließlich zurückgebracht auf die Autonomie des Denkens. Statt ein Fortschritt zu sein, war das ein riesiger Rückfall. Das ganze menschliche Dasein war von da ab auf das Denken schlechthin verschmälert. Der Mensch war ein Denkmachine geworden. Es ist die Ursache des heutigen ein-dimensionalen Individualismus - total auf sichselber zurückgeworfen sein - wobei der Mensch entfremdet ist von der vielseitigen bzw vielschichtigen Wirklichkeit.

4. Weil der Mensch seinen tieferen Sinn entbehrt, ist er zurückgefallen auf sein Ego. Letzteres versucht "sein Glück" zu finden durch eine Ersatz-Befriedigung: das Haben. Das kann jedoch das was er wirklich sucht - das Sein - nicht befriedigen. Deswegen entartet das Haben in eine Sucht. Er braucht ständig mehr und mehr. Diese Sucht manifestiert sich in der Gesellschaft als Kapitalismus. Es beruht auf einen Egoismus als ein System, das keine Grenzen kennt. Sein Profitgier braucht immer neue Märkte. Dabei  zerstört er rücksichtslos alles was dabei "im Wege" steht: andere Kulturen, Religionen, soziale Systeme und die Natur. Die moderne Version der Gleichschaltung. Alles soll vor diesem globalen Markt weichen. Wer protestiert wird als Extremist oder schlimmer ausgemacht. "Wer nicht für uns ist, ist ein Terrorist". Eine self-fulfilling prophesy also. Ist es dann total unlogisch, das nicht nur der Islam, sondern die ganze Dritte Welt sich in seiner Identität bzw Existenz bedroht bzw ausgebeutet fühlt? Die meisten stehen diesen Gewalt wehrlos gegenüber. Der Islam hatte das Vorteil einen gemeinsamen Nenner zu haben. Jetzt, wo der Westen auch noch seine Religion angreift, fällt eine Minderheit des Islams zurück auf militanten Wiederstand.

5. Es ist klar, daß "die Aufklärung" auch einiges an Positives gebracht hat. Es sind u.a. Recht der freien Meinungsäußerung, Trennung von Kirche und Staat, ein Rechtssystem und die Demokratie. In der heutigen Situation sind sie tatsächlich Werte, die unter keinen Umständen aufgegeben werden sollten. Die Tatsache jedoch ist, daß wir sie selber untergraben. Ihnen liegt eine tiefe Heuchlerei zu Grunde. Einerseits Förderung unserer Werte wie Humanität und Toleranz, andererseits ein rücksichtsloses wirtschaftliches System, sich basierend auf Egoismus, Anhäufung, Expansion und mörderischen Wettbewerb. Es war dieses System, daß letztendlich unsere wahre bzw ursprüngliche humanitäre Werte - die Harmonie mit Himmel, Erde und der Gemeinschaft - vernichtet hat. Privatisierung ist das Instrument, womit alle Ebenen der Gesellschaft kommerzialisiert werden. Der Mensch wird zu einem Handelsobjekt degradiert. Menschliche Beziehungen werden so de-humanisiert. Die Gemeinschaft wird zielbewußt abgebrochen. Für den "inneren Markt" ist es vorteilhafter, wenn jeder ein Single wird. Das WTK-Komplex* überwuchert die ganze Gesellschaft. Schulen und Universitäten sind nur noch Zulieferer der Großkonzerne. Gesundheitsfürsorge ist Zielobjekt der pharmazeutisch-technischen Industrie.

* Wissenschaft, Technologie und Kapitalismus (Prof.dr.E.Vermeersch).

6. Wenn unser System sogar unsselber zerstört, alles Folge ist eines verfremdeten Ichs (lese Goethe's Faust), dann stellt sich die Frage nach unserem Menschbild. Müssen auch wir nicht tief in unsere eigene Seele schauen? Ist unsere sgn. Überlegenheit gerechtfertigt? Man könnte behaupten, daß eine Filosofie die die entfremdete Persönlichkeit zentral stellt, alles andere ist als Ausdruck einer "höheren" Intelligenz. Sogar Ameisen, Vögel, Affen, Pflanzen, Bäume und Fische "wissen", daß das Überleben abhängt von der Aufrechterhaltung eines labilen Gleichgewichts zwischen ihnen und ihrer Umgebung. Daß Leben ohne lebensspendenden Kontext also nicht möglich ist. Also, der Islam möge teilweise noch im Mittelalter leben und ja, in vielen Hinsichten erstarrt sein bzw unmenschliche Praktiken bevorzugen, die tatsächlich verbessert werden könnten......sollte jedoch der Westen, in der Erkennung seines eigenen Versagens, der ja nicht nur die (Haupt)Ursache eines weltweiten Zerstörung ist, sondern wenn man ehrlich ist, zugegeben werden muß, daß auch seine eigene Gesellschaft in Verfall ist.....sollte dann auch der Westen nicht ein Bißchen demütiger sein können, wenn es darum geht sich auseinanderzusetzen mit anderen Kulturen? In Gegensatz zu uns, haben viele andere Kulturen eine Weisheit, die wir verloren haben. Es hat mit dem obengenannten existentiellen Kontext zu tun, ohne welchen das Leben nicht möglich ist.

* Wobei man selbstverständlich nicht blind sein sollte für all diejenigen die ihr Heil in Gewalt suchen. Obwohl sie durch Einsicht in den Hintergrund verständlich ist, sollte Gewalt als solches - jedenfalls hier in Europa - dezidiert zurückgewiesen bzw bekämpft werden. Wahrhaftigkeit ist nicht gleich Naivität.

7. Die einzige Basis, worauf das Vertrauen wiederhergestellt werden kann ist, daß auch wir im Westen unsere Fehler bzw Mängel ehrlich zugeben. Wir solten zeigen, daß wir bereit sind als ebenbürtige Partner mit einander zu reden. Unsere Kultur hat wahrlich keinen Grund sich überlegen zu fühlen. Technologischer Fortschritt ist nicht gleich menschlicher Fortschritt. Im Gegenteil. Durch den WTK-Komplex haben wir die ganze Welt in Elend gestürzt*. Das heißt nicht, daß wir unsere Prinzipien verleugnen. Das was wertvoll ist, wollen wir behalten. Das soll unter allen Umständen klargemacht werden. Andere, destruktive Aspekte unserer Kultur sollten wir jedoch fallen lassen. Wenn wir zugleich bereit sind als Partner zu reden - und akzeptieren, daß auch unser System geändert werden muß - dann bin ich sicher, daß das vom größten Teil der moslemischen Welt begrüßt wird. Ein gemeinsames Transformationsprozeß also. Andere Kulturen haben Erfahrungen, die uns helfen könnten, den Kontext mit dem Leben wiederherzustellen. Darüber hat bis jetzt noch kein Politiker gesprochen. Das ist jedoch außerordentlich wichtig, denn davon hängt es ab, ob, wenn sie - die andere Kulturen - früher oder später die Mehrheit werden, sie eine humane Gesellschaft bilden oder nicht. Dabei ist es notwendig, daß wir unsere Angst überwinden. Niemand kann in die Zukunft sehen. Was wir dagegen tun können ist, um ehrlich, mutig und mit Mitgefühl unseren Mitmenschen zu begegnen. Es geht um die Qualität unserer Lebenshaltung Hier und Jetzt. Den Rest müssen wir "dem Kosmos" überlassen. Mit den Essays möchte ich diesen Prozeß von Herzen unterstützen.  

* Um eine Ahnung zu haben, wie das in der Dritten Welt aufgefaßt wird, lese z.B. die egyptische Schriftstellerin Nawal Al-Sadaawi.

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